Mittwoch, 28. Juni 2006

valtl Classics - Zivildienst

Zum Einstieg ein Text aus meiner Zivildienstzeit, der in der Zeitung der StrV Chemie auf der TU veröffentlicht wurde. Die Geschichte ist allerdings aus dem Jahre 2003, das betreffende Magistrat gibt es nach einer Zusammenlegung nicht mehr...


Die Schwesternschaft vom verdorbenen Auge
oder
Von Möpsen, Mobs und Mobbing


So. Da bin ich wieder!Wie wohl keinem von Euch entgangen sein sollte, bin ich derzeit beim Zivildienst. Zwar hab ich den schlimmsten Teil schon hinter mir und den schönsten Teil noch vor mir, dennoch habe ich mich entschlossen, mal ein bisschen zu rekapitulieren, was Euch in meiner Abwesenheit wohl so entgangen sein mag. Ich sage es gleich vorneweg: Die hiesigen Geschichten sind langweilig, langatmig, schlecht geschrieben und kurz, aber so ist das Leben halt auch! Für Interessierte kann ich auch einen Erzähl-Abend veranstalten, aber dazu später. Nun denn, wo beginnen, wo aufhören...

Es war in der Zeit, wohl so um Juni 2002, da bekam ich einen eingeschriebenen Brief von unserem Herrn Innenminister (ja, genau der, mit dem ich - laut letztem Artikel - auch E-Mail-Kontakt pflegte, der Kreis schliesst sich...). Er meinte, dass das Land mich nun in dieser schweren Zeit ganz dringend nötig hätte und ich sehr unabkömmlich bin. Ausserdem gäbe es für mich so einiges zu erleben, womit er recht behalten sollte.

Als Beginn dieses Arbeitsauftrages sah er den 1. Oktober desselben Jahres, worauf ich mich natürlich sofort vom Studium für ein Jahr beurlauben liess, damit ich seinem Ruf folge leisten könne. (Die gesamte Geschichte hat sich zwar ein wenig länger, aber interessanter und spannender abgespielt, aber das war ja im oberen Absatz nicht so ausgemacht.) So fanden sich am vereinbarten Datum und am vereinbarten Ort drei Zivildiener ein, die alle den gleichen Aufruf erhielten und mit denen ich nun ein gesamtes Jahr verbringen werde. Das war nun der spannende Teil der Erzählung.
Denn es sollten noch Andere geben, mit denen ich arbeite, oder zumindest so tue, als ob, und als wir an unserer Dienststelle für ein Jahr angekommen sind, waren alle Augen auf die Neuankömmlinge gerichtet, unsere hingegen auf die Stellvertreterin der Kanzleileiterin: Marion, die Erhabene. Ihreszeichen Chefin für die Zivis, die in der Kanzlei schuften müssen, und gerade mal 21 Jahre alt.

Zur Ergänzung sei noch hinzugefügt, dass meine Kollegen direkt nach der Matura mit dem Zivildienst angefangen haben, also sind beide mit ihren 20 Jahren deutlich jünger, als ich jeden Morgen aussehe.

Zivi-Schinderin Marion erteilte meinen Kollegen jede Menge Aufträge, deren Spannung in den Himmel reichte (Akten sortieren, suchen, einordnen, Tote sortieren, suchen, einordnen,...), während sie mir keine geben durfte.., ein herrvoragendes Gefühl. Denn schliesslich bin ich ja kein „Kanzlei-Zivi“, sondern „Mobile Schwester“, der Sonderstatus des Zivildieners in einem Gesundheits- und Sozialzentrum.
Auserwählt nach meinen eindeutigen Vorzügen („der Blade, Langzotterde kummt zu eich“) wurde mir eine Welt offenbart, die nicht jedem zugänglich ist. Viele sind stolz, nicht dazu zu gehören...
der Welt der Intrigen, des Wahnwitzes und des Mobbings.

Ich war mir nicht sicher, ob meine Zuteilung vom Glück bestimmt wurde, oder ob irgendein Gott aus einer Laune heraus nur mit mir gespielt hatte, aber mittlerweile habe ich Spass an meiner Arbeit.
Eingeschult und eingewiesen in meine neue Tätigkeit - Schwester Mary hat sich sehr brav und anständig um mich gekümmert - wurde ich sogleich von meiner Chefin, Schwester Sabine, zurechtgewiesen: „Du, Valentin, wenn die Mary dir etwas sagt, dann hätt ich gern, dass du zu mir kommst und es mir erzählst. Brauchst der Mary aber nicht weitersagen!“ Das war doch mal ein guter Einstieg, oder?
Im Gegenzug erhielt ich von der Schwester Mary folgenden Auftrag: „Bevor du das machst, was dir die Sabine sagt, kommst zu mir. Ich sag dir dann, wie das richtig geht!“ Offenbar herrschte da ein gutes Gesprächsklima vor. Ich habe beschlossen, mich aus der Sache herauszuhalten, damit ich mich nicht gleich an zwei Fronten aufreiben lasse.

Mit den übrigen Schwestern gabs nicht so grosse Einstimmungsmomente, Schwester Andrea erheitert mich regelmässig: „Vincent, kannst für mich in die Apotheke gehen“, Schwester Gerhard - nein, über den jetzt nichts, der bekommt seinen eigenen langen Absatz - alles in allem 13 Schwestern, davon 2 Brüder oder Pfleger, versuchen, mir meinen Zivildienst so unangenehm wie möglich zu machen.
Mein einziger Vorteil dabei ist: sie sind fast nie da. Einer meiner vielen Nachteile: Sie haben meine Handynummer...
Jaja, ich und meine MobS, die höflichere Abkürzung der mobilen Schwestern, da werden noch viele Bierchen im Real meine Kehle herunterrinnen, bis mir keine Gschichtln mehr einfallen. À propos Gschichtln, hiermit erkläre ich die Einleitung für beendet: Lasset die Spiele beginnen!!

Aussendienste, welcher Zivildiener liebt sie nicht. Es gibt schöne, lustige, unterhaltsame, zähe, unerträgliche und langweilige. Der Vorteil ist: Man ist nicht im GSZ. Aussendienste dauern immer recht lang, als Beispiel sei folgender aufgeführt: Der Dienstbote Valentin muss ein defektes Blutzuckermessgerät zur Vertreiberfirma bringen, austauschen lassen und zur Patientin bringen. Kann ja wohl nicht soo
lange dauern. Das Problem war nur, dass das Messgerät im Zentrum im 12. Bezirk war, die Firma in Floridsdorf am Spitz und die Patientin am Atzgersdorfer Platz. Nach einigen Stunden Fahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln und einem ausgewogenen Mittagsmenü beim Chinesen hab ich das Ganze doch problemlos über die Bühne gebracht, nach geschickt gelegter Fahrtroute bin ich sogar in allen Wiener Gemeindebezirken gewesen, nur der erste war zu weit ab vom Schuss.

Meine liebe Schwester Gerhard, seines Zeichen Pfleger im 12. Bezirk, hat noch ein anders Faible: Politik. Als Kandidat zum Nationalrat, Listenplatz Nummer 8 haben ihm doch ein paar Stimmen gefehlt, um sich vom Dienst beurlauben zu lassen und ins Parlament zu ziehen, seine Demokraten landeten weit, weit abgeschlagen. Sein guter Freund, „der Rudi“ (Fussi), und er haben aber noch viele Pläne, um via Einkaufsstrassenfeste ans grosse Geld zu kommen („Das machen alle Parteien so!“). Wir wünschen Glück und hoffen auf eine gute Wahl beim nächsten Mal.

Mein lieber Pfleger Alex, der mich immer am längsten und öftesten schickt, sei hier auch noch erwähnt. Dank ihm habe ich schöne Gegenden wie das Schöpfwerk gesehen und darf es öfters besichtigen fahren. Es gibt viele Vorurteile über das Schöpfwerk und ich habe es nicht geschafft, auch nur eines zu widerlegen. Meiner Meinung nach ist die Gegend ein Traumland für Anthropologen: Das Missing link wartet an jeder Strassenecke und seine Grosseltern sind nicht weit, die Evolution liegt ganz in unserer Nähe, Erinnerungen an Jurassic Park werden wach.

Eine weitere Erinnerung werde ich noch vom Pfleger Alex behalten.
Dank ihm habe ich zeitweise sogar schon eine Stunde früher zu arbeiten begonnen. Eine seiner Patientinen muss regelmässig zur Kontrolle und Neueinstellung des Insulins nach Lainz. Ich war als „Aufpasser“ dabei, da es sich bei dieser Dame um eine „leicht demente Person“ handelt - nette Art, morbus Alzheimer zu umschreiben... Als ich mit ihr auf den behandelnden Arzt wartete, und wir miteinander plauderten, erzählte mir sie mehrmals von ihrer Schwester und deren Bauernhof im Burgenland. Nach einer Stunde warten sagte ich zu ihr, dass es nicht mehr lange dauern würde, worauf sie entgegnete: „Sie kommen doch vor mir dran, immerhin warten sie schon länger hier!“

Im Grossen und Ganzen kann ich mich aber nicht aufregen - können schon, aber dürfen nicht -,denn ich habe es mit meinem Platz um einiges besser erwischt als meine Kollegen in der Kanzlei. Denn dauernd langweilige Akte suchen, Telefondienst mit einer lebensmüden Dame zu machen - kurze Beschreibung: Ende 40, schwer übergewichtig, starke Raucherin, Alles-und-viel-Esserin, zuckerkrank und post-infarkt, zusätzlich Bluthochdruch, leicht cholerisch und chronische Verdauungsschwierigkeiten, - immer unter Aufsicht sein und viel zu tun zu haben, wäre echt nicht ganz meins.

Da lob ich mir meine Schwestern. Die sind nur Dienstags und Donnerstags da, dann aber wirklich stressig, ansonsten muss ich Kaffee aufsetzen, wenn eine Schwester kommt und halt ein paar Zettel einsortieren. Oder ich bin halt bei irgendeinem Arzt, bei einer Krankenkassa oder in einer Apotheke... alles sehr geruhsam. Offizieller Dienstantritt ist um 07:30, da bin ich da, dreh den Computer auf, hol mir einen Kaffee und checke meine E-Mails, schau ins Forum, gebe meinen Senf zu Sachen dazu von denen ich keine Ahnung habe.
Meinen ersten dienstlichen Handgriff mache ich um etwa 09:00, Mittwoch und Freitag sind prädestiniert zum „Löcher-in-die-Luft-Schauen“. Da muss ich mich schon immer neue Plätze suchen, um ungelochte Orte zu finden, denn ich kann mir sicher sein, dass es nicht nur bei mir so stressfrei zugeht. Meistens gehe ich dann in die Kanzlei und plaudere ein bisschen mit der Marion, gebe ihr Tips, wie sie meine Zivildienerkollegen und den Lehrling noch lustiger quälen kann... Ja, so macht das Spass, so kann ich noch locker ein, zwei Wochen weitermachen, leider sind es doch noch ein wenig mehr...
In diesem Sinne mit den liebsten Schwesterngrüssen

Euer Prinz Val

PS: Ich hoffe, ich habe Euch nicht enttäuscht, was die Langatmigkeit, Fadess und Qualität angeht.

PPS: Die Namen sind von der Redaktion nicht geändert worden.

PPPS: In dieser Erfindung steckt keinerlei Wahrheit, alles entspricht der Geschichte (oder so ähnlich...)

valtl Classics

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